Warmer Wind schiebt die Anhöhe hinab. Wenn die feuchte Luft steht, bringt das den Trauben die Fäulnis.
Zwischen den Rebzeilen stapf ich hinan. Zunächst über Erde und Lehm, vollgesogen vom Regen der letzten Tage, dann, weiter oben, über Klee, Scherben und Steine.
Hier endet die Ried und der Wald beginnt. Ich setze mich nieder und schau in die Tiefe.
Draußen, am Horizont, ganz im Dunst, landen eins nach dem andern, wie auf Stufen, die vom Himmel führen, die Flugzeuge. (Für mich ist das ganz unverbindlich, niemals sitze ich in einem von ihnen.)
Davor, näher bei mir, wölbt sich die Stadt wie ein Hügel von Sand. Die großen Gebäude liegen darin wie Spielzeug von Kindern.
In der Nähe, auf dem Hügel gegenüber, von Bäumen ganz verdeckt, ist ein Friedhof gut versteckt.
Ich weiß nicht, warum ich so gerne diese Aussichtspunkte aufsuche. Es wird daran liegen, daß ich hier in Frieden liegen sehe, was mich aufhetzt, wenn ich darin gehe.
(24.08.2014)
DesEsseintes - 8. Dez, 19:04
Du warst meine Schildkröte draußen,
krasser Außenseiter unter den Angeleinten -
Dandy für Verliebte, zogst du mich
über die Plätze.
Dein Spurt war ein Strich
durch die Rechnung vermeintlicher Gegner.
Nie hatten sie dich. Kam einer japsend heran,
sahst du dich um im vollen Lauf
und legtest dann gelassen eins drauf.
Du bist mir geblieben aus dem Konkurs
einer Beziehung.
Gingst zuerst übertrieben auf zwei Beinen an der Leine, nicht auf vieren.
Alles
hat dich erregt: die Stadt, der Gestank, was sich bewegte
und alles, was schneller verschwand.
Im Winter dann trugst du ein blaues Gewand.
Dich fröstelte schnell. Beim Warten
an eiskalten Haltestellen konntest du schnattern
wie eine Gans.
In schlecht geheizten Zimmern schliefst du lange
zugedeckt bei mir im Bett. Bis
dein stinkender Atem mich weckte
und ich dich vertrieb. Du wurdest krank.
Der Tumor brach auf und verschwand
und kam wieder. Auf einem Wiesenhang
hab ich Dich noch einmal zum Laufen gebracht,
im Kreis um mich herum,
zwei kleine Runden.
Die letzten Tage lagst du nur auf deinem Platz,
du konntest nicht mehr.
Rangst nächtens nach Luft - inoperabel:
Die Lunge voll Metastasen.
Ich nehme die Leine, es ist so schwer,
dein Blick verfolgt mich wie immer.
Der Befehl, den Du mochtest, der einzige:
Komm her - wir gehen.
DesEsseintes - 5. Sep, 10:25
Das Zimmer war auf einmal prächtig und das große Erkerfenster
Produzierte Schnee und die rosafarbenen Rosen dagegen
Lautlos daneben und unvereinbar:
Die Welt ist überstürzter als wir es ahnen.
Die Welt ist verrückter und mehr davon als uns scheint,
Unverbesserlich plural. Ich schäle und portioniere
Eine Manderine und spucke die Kerne und spüre
Die Trunkenheit, daß Dinge viel auf einmal sind.
Und das Feuer flammt auf und blubbert, da die Welt
Boshafter und kecker ist, als wir meinen -
Auf der Zunge auf den Augen auf den Ohren auf deinen Handflächen -
Da ist mehr als nur Glas zwischen dem Schnee und den gewaltigen Rosen.
(Übertragung: DesEsseintes)
DesEsseintes - 28. Mai, 15:05
Die Zuschauer kommen zur Ruhe, hören nach und nach auf miteinander zu reden und schauen auf die Bühne. Auf der Bühne ist nicht viel zu sehen, sie ist eigentlich leer. Keine Kulissen verstellen den Blick auf die hintere Wand aus Ziegelsteinen. Eingelassen in der Mitte dieser Wand ist eine schwarze Tür.
Vor den Seitenwänden der Bühne hängen zusammengerafft und im unterem Drittel verknotet sehr schwere Vorhänge. Der lockere Knoten verkürzt die Länge der Vorhänge so, als hätte man verhindern wollen, daß sie den Fußboden berühren, falls man ihn kehren will oder aufwaschen.
Die Bühne ist leer. Man hat den Eindruck, es erwarten sich die Besucher nicht allzu viel davon,- manche reden noch immer miteinander - außer natürlich, daß jetzt bald jemand auftreten wird, sei es von hinten durch die schwarze Tür, oder aber aus dem Publikum heraus, die steil abfallenden Sesselreihen herabturnend, wie das ja auch sehr häufig geschieht.
Endlich öffnet sich in der hinteren Bühnenwand die Tür und ein Mann kommt hervor, lautlos, vorsichtig, dabei erstaunt um sich blickend. Er geht langsam auf das Publikum zu, bis zur Rampe. Daß es ein Mann ist, ist mehr an seiner Form zu erkennen, denn er trägt eine Maske, nicht unähnlich der Maske von Bankräubern, mit Sehschlitzen, nur ein Haarschopf steht oben heraus. Hauptsächlich aber trägt er einen weiten, schwarzen Jogginganzug, auf dem mit weißer Farbe, mit einfachen Strichen, nicht sehr deutlich, aber deutlich genug, ein Skelett gemalt ist.
Alle erkennen: Das ist der Tod. Als er spricht, direkt zum Publikum spricht, ist sein Tonfall überaus angenehm, fast schmeichlerisch, wenn auch nicht verführerisch wie von einem Mephistopheles - er will niemanden verführen. Er raisonniert. Er raisonniert zum Publikum hin und fast raisonniert er mit dem Publikum gemeinsam, wenn das, was er sagt, vom Publikum erwidert wird mit verhaltenem Lachen.
Was sagt er? Er sagt, daß das nicht die Bühne ist, auf welcher er zu spielen gewohnt ist. Normalerweise säßen nämlich in der einen Ecke die Musiker einer Band oder eines kleinen Orchesters. An einer Stelle auf der Bühne gäbe es auch Pflanzen - und er zeigt uns die Stelle. Er selbst würde für gewöhnlich auch gar nicht als erster auftreten, schon vor den Revuetänzerinnnen, und auch nicht so mirnichts-dirnichts durch eine Tür, sondern herabschreitend von einer in den Bühnenhimmel reichenden Treppe, zuerst lange Zeit für die Zuschauer unsichtbar, weil im Finstern auf dieser Treppe wartend, dann plötzlich, bei veränderter Musik, im grellen Licht dastehend, von allen Scheinwerfern angeleuchtet.
Der Tod spricht zurückhaltend, wenn auch bestimmt. Nicht im nostalgischen Ton, so wie Menschen von einer glanzvollen Vergangenheit sprechen. Er will uns nämlich nicht vorschwärmen, wie das einmal gewesen ist, sein Auftritt in der Nummernrevue, sondern er möchte sagen: Das wäre eine Möglichkeit und so ist es auch immer gewesen - und so wiederum ist es heute, eben ganz anders.
Er gibt uns eine vollständige Beschreibung der Aufführung, die an diesem Abend eigentlich hätte gezeigt werden sollen: Wie die Tänzerinnen hereinkommen und in zwei symmetrischen Reihen Front machen zum Publikum, was von ihnen erwartet wird: Es ist nicht viel, fast jeder brächte es zusammen. Dann die Musikeinlagen: Er beschreibt den Charakter der einzelnen Stücke, erzählt, welche ihm besonders angenehm sind, welcher der Instrumentalisten sich gern an welcher Stelle hervortut, welche Einlage für gewöhnlich so beklatscht wird, daß die Musiker nach vorne gerufen werden, an die Rampe, und sich verbeugen, daß einer von ihnen, der Schlagzeuger, das Rampenlicht scheut und sich gleich wieder in seine Ecke verdrückt. Auf die Musikstücke folgen dann die Tanzeinlagen oder anderes.
Das besondere ist, mit welcher Feinheit, welcher Souplesse der Tod diese Vorgänge beschreibt, mit welchem Abwägen des Urteils, nur begleitet von sehr präzisen, zurückhaltenden Gesten. Wenn er etwa einen Moment in der Musik erklärt, etwa was die Gitarre macht, dann beinahe nur einen Akkord. Er gerät nie in Versuchung, zur Luftgitarre zu greifen.
Dieses ganze Beschreiben eines nicht stattfindenden Theaterabends wird dann auf rätselhafte Weise durchschnitten von einer zweiten Spielebene: Eine Schauspielerin tritt auf, in legerer Alltagskleidung, und verkündet: "I want to do my dying now". Darauf wirft sie sich angestrengt in alle nur denkbaren Posen des schmerzhaften Ablebens, was den Tod aber wenig interessiert. Er wünscht, daß es schnell vorüber sei, damit er mit seinen Ausführungen fortfahren kann.
Am Ende des Stücks gibt es dann noch so etwas wie eine Parabel: Der Tod zitiert, während er sich Richtung Bühnenhintergrund zurückzieht und schlußendlich durch die Tür dort verschwindet, im Reden immer langsamer werdend, mit gedämpfter Stimme, aus den Regieanweisungen für den Beleuchter: "Light on, light off, light on...light off..light on....light off.....light on......light off"
"Spectacular" von Forced Entertainment, gesehen am 09.10.2008.
DesEsseintes - 10. Okt, 19:37